Zwei Frauen stehen fassungslos vor dem Haus, dessen zerbombte Fassade den Blick auf die Wohnungen ermöglicht.

Ukraine: auf Jahrzehnte mit Streumunition verseucht

Der weltweit umfangreichste Einsatz von Streumunition ist aktuell in der Ukraine zu beobachten, wo Russland im Krieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 wiederholt Streumunition eingesetzt hat. Streumunition stellt in vielen Regionen der Ukraine somit eine große Gefahr dar. 

Zwischen Februar 2022 und Ende 2023 sind insgesamt 1.023 Menschen durch Streubomben und Blindgänger ums Leben gekommen oder verletzt worden. Die Dunkelziffer ist allerdings wahrscheinlich noch viel höher.

Russland setzt die Waffen massiv ein, und auch die Ukraine hat Streumunition schon mehrfach eingesetzt. Keines der Länder ist Mitglied des Oslo-Vertrags.

Inmitten dieser Krise ist Handicap International an der Seite der betroffenen Menschen. Wir klären über die Gefahren von Streubomben und Blindgängern auf und helfen, Leben zu retten.

Letztes Update: 09. September 2024

Das lesen Sie auf dieser Seite:

Ein Bild von zwei Frauen vor einem zerstörten Gebäude in einem Wohnviertel von Kiew. © V. de Viguerie / HI

Woher stammen die Daten auf dieser Seite

Die meisten Daten auf dieser Seite stammen aus dem Streubomben-Monitor. Der Monitor ist ein jährlich erscheinender Bericht, der über die Umsetzung der Oslo-Konvention, also des internationalen Streubombenverbots, informiert. Handicap International ist im Kuratorium des Monitors. 

Der aktuellste Streubomben-Monitor vom September 2024 enthält Informationen über die Entwicklungen im Jahr 2023. Er liefert detaillierte Daten und Analysen zur Einhaltung und Umsetzung des Vertrags weltweit, wobei der Fokus auf den Fortschritten und Herausforderungen des letzten Kalenderjahres liegt. Der Bericht erscheint stets im September und bezieht sich auf das vorangegangene Kalenderjahr.

Außerdem beziehen wir uns auf diverse Berichte von Human Rights Watch. Die internationale Menschenrechtsorganisation führt mit Expert*innen vor Ort immer wieder detaillierte Untersuchungen durch. Die Daten von HRW fließen auch in die Berichterstattung des Monitors ein. 

Handicap International führt selbst keine Erhebungen zu Streumunition- und Opferzahlen in der Ukraine durch.

Wie viele Unfälle mit Streumunition gab es bisher?

Streubomben werden im Krieg in der Ukraine regelmäßig eingesetzt. Das verdeutlichen einmal mehr die Ergebnisse des letzten Streubomben-Monitors vom September 2024. Zwischen Februar 2022 und Ende 2023 wurden in der Ukraine sind insgesamt 1.023 Opfer von Streumunition registriert. 980 Menschen wurden direkt Opfer von Angriffen, 43 hatten Unfälle mit Blindgängern. Die Dunkelziffer ist aber wahrscheinlich deutlich höher, denn allein im Jahr 2023 wurde die Opferzahl bei über 50 Angriffe mit Streumunition nicht registriert.

Damit verzeichnete die Ukraine im zweiten Jahr in Folge die höchste Zahl von Opfern weltweit.

Russische Streitkräfte sollen in Hunderten Angriffen Streumunition verwendet haben, wie Human Rights Watch berichtet. Die Organisation begründet das unter anderem mit dem Fund von hunderttausenden Submunitionen. Die Ukraine soll bisher in mindestens drei Fällen Streumunition eingesetzt haben.

Wo liegen Streubomben in der Ukraine?

Kein Land in Europa ist derzeit so stark mit Blindgängern verseucht wie die Ukraine.

Die Nationale Minenräumungsbehörde der Ukraine berichtete im Juni 2023, dass 160.000 km² des ukrainischen Territoriums vom Konflikt betroffen sind und vermessen werden müssen. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 schätzte die Ukraine, dass 7.000 km² in von der Regierung kontrollierten Gebieten der östlichen Regionen Donezk und Luhansk sowie weitere 14.000 km² in nicht kontrollierten Gebieten kontaminiert sind.

In mindestens acht von 24 Oblasten (größere Verwaltungsbezirke) sollen nach Angaben des Monitors Streubomben eingesetzt worden sein: In Chernihiv, Dnipropetrovsk, Donetsk, Charkiw, Kherson, Mykolaiv, Odesa und Sumy.

Wer setzt die Streumunition ein?

Russland

Russland setzt Streumunition in der Ukraine seit Beginn des Krieges Anfang 2022 in großem Umfang ein. Mindestens 13 Arten von Streumunition wurden seit 2022 dort eingesetzt.

Human Rights Watch hat zahlreiche russische Streumunitionsangriffe dokumentiert, die bereits über 1.000 zivile Opfer gefordert haben. Die Angriffe mit Streumunition begannen in Vuhledar, gefolgt von weiteren Angriffen in Charkiw, Mykolajiw, Tschernihiw, Cherson und anderen Städten. Der russische Streumunitionsangriff auf den überfüllten Bahnhof von Kramatorsk am 8. April 2022 ist nach wie vor eines der tödlichsten Einzelereignisse für die Zivilbevölkerung während des Krieges.

Am 29. April 2024 verstreute eine mit einem Streumunitionssprengkopf ausgerüstete ballistische Rakete ihre Submunition in und um ein Gelände der Rechtsakademie von Odessa am Ufer des Flusses Odessa. Nach Angaben der ukrainischen Behörden befand sich unter den getöteten Zivilistinnen und Zivilisten ein vierjähriges Mädchen, das drei Wochen nach dem Angriff an seinen Verletzungen starb. Die Detonationen lösten einen Brand aus, der das Dach der Residenz des Präsidenten der Rechtsakademie zerstörte, der bei dem Angriff verletzt wurde. Und die Angriffe hören nicht auf.

 

Ukraine

Laut Human Rights Watch hat auch das ukrainische Militär in mindestens drei Fällen Streumunition eingesetzt, unter anderem in der Region Izium im Jahr 2022, was zu zahlreichen Toten und Schwerverletzten unter der Zivilbevölkerung führte. Im Vergleich zu Russland setzt die Ukraine die Waffen allerdings in weitaus geringerem Umfang ein.

Von Russland unterstützte Separatisten im Donbass 2014-2022

Von Russland unterstützte Separatisten setzten im Konflikt im Donbass seit Mitte 2014 Streumunition in der Ostukraine ein, die zahlreiche Opfer forderte, die Infrastruktur beschädigte und ein tödliches Erbe an nicht explodierter Submunition hinterließ. Human Rights Watch hatte vor dem Beginn des Krieges im Jahr 2022 bereits ein Dutzend Orte in zwei der östlichen Provinzen der Ukraine (Donezk und Luhansk) identifiziert, in denen bisher zwei Arten von bodengestützter Streumunition und zwei Arten von explosiver Submunition eingesetzt wurden.

Laut Human Rights Watch hat vermutlich auch die ukrainische Armee damals schon Streumunition eingesetzt. Die ukrainische Regierung bestritt diese Einsätze jedoch. Heute gibt es Vorwürfe ebenfalls von HRW über den Einsatz von Antipersonen-Minen durch die Ukraine. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen das Minenverbot, das die Ukraine ratifiziert hat.

Hat die Ukraine Streumunition verboten?

Nein, die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der Oslo-Konvention, die das Verbot von Streumunition international regelt. Dieser Vertrag fordert von den Vertragsstaaten außerdem die Zerstörung von Minenbeständen, umfassende Maßnahmen zur Minenräumung sowie die Unterstützung von Opfern.

Hat Russland Streumunition verboten?

Nein. Auch Russland ist kein Mitglied der Oslo-Konvention. 

Beide Länder müssen aber das internationale Völkerrecht achten und die Zivilbevölkerung schützen. Es dürfen deshalb keine Waffen eingesetzt werden, die sich vornehmlich gegen diese richten.

Werden die Streubomben in der Ukraine geräumt?

Trotz der schwierigen Umstände gibt es zahlreiche Bemühungen zur Räumung von Blindgängern. Organisationen wie der Staatliche Katastrophenschutz der Ukraine (SESU) und internationale NGOs sind aktiv daran beteiligt, das Land von Minen zu befreien. Es wird jedoch geschätzt, dass die vollständige Räumung mehrere Jahrzehnte dauern könnte

Lieferung von Streumunition durch die USA

Zwischen Juli 2023 und Oktober 2024 hat US-Präsident Joe Biden sieben Transfers US-amerikanischer Streumunition an die Ukraine genehmigt. 

Zuvor hatte die Zivilgesellschaft vehement davor gewarnt. Streumunition ist international geächtet durch die Oslo-Konvention - und das nicht ohne Grund. Submunition aus Streubomben tötet wahllos - das heißt, sie kann nicht zwischen Zivilbevölkerung und Feinden unterscheiden. Hinzu kommt eine hohe Blindgängerrate, die auch noch Jahrzehnte nach ihrem Einsatz Menschenleben fordert. Der Preis für diese Entscheidung wird hoch sein - sowohl humanitär als auch politisch.

Die USA haben weder die genauen Mengen an Streumunition, die sie an die Ukraine liefern, noch Informationen über die spezifischen Typen und ihre jeweiligen Blindgängerraten offengelegt.

Statement von HI zu den US-Lieferungen vom 7. Juli 2023

Staats- und Regierungschefs aus 21 Ländern äußerten sich besorgt über die Entscheidung der USA, Streumunition an die Ukraine zu liefern.  Die Entscheidung der USA, Streumunition an die Ukraine zu liefern, fand weltweites Medienecho und wurde von UN-Beamten und der Koalition gegen Streumunition (Cluster Munition Coalition - CMC)  kritisiert. Die Weitergabe von Streumunition durch die USA hat zu einer Debatte im Kongress, einer genauen Prüfung und zu Gesetzesvorschlägen geführt.

“Handicap International verurteilt die Entscheidung der Regierung Biden, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Streumunition gehört zu den gefährlichsten Waffen für die Zivilbevölkerung. Sie ist von Natur aus willkürlich und stellt eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung dar, da sie noch lange nach dem Ende des Konflikts Opfer fordern kann. Seit 40 Jahren arbeitet Handicap International an der Seite der Streubomben-Opfer. Für uns ist das Problem in erster Linie ein humanitäres: Zusätzlich zu den Opfern unter der Zivilbevölkerung wird der Zugang zu humanitärer Hilfe zur Unterstützung dieser Menschen erschwert."
Anne Héry, Direktorin der internationalen Abteilung für politische Arbeit von Handicap International

Ist Deutschland ein Transitland?

Der ARD-Sendung „Panorama“ zufolge wird Streumunition in einem US-Depot in Deutschland gelagert und wurde bereits durch Deutschland in die Ukraine geliefert. Dies sei von der US-Armee bestätigt worden, so „Panorama“. Nach Auffassung von Handicap International (HI) verstößt es gegen den von Deutschland unterzeichneten Streumunitions-Verbotsvertrag, wenn diese Munition tatsächlich durch deutsches Gebiet transportiert wird.

  • Warum dies ein Versagen Deutschlands darstellt, den Geist der Konvention aufrechtzuerhalten, lesen Sie in der Presseerklärung.

Wie hilft Handicap International den Menschen in der Ukraine?

Handicap International setzt sich weltweit gegen Landminen, Streubomben und Explosivwaffen ein und fördert den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten. Ein Teil der Arbeit ist dabei die Räumung von Blindgängern und anderen explosiven Kriegsresten sowie die Aufklärung über die Gefahren dieser. Zusätzlich widmen wir uns der Katastrophen- und Flüchtlingshilfe, der Rehabilitation und der Inklusion von Menschen mit Behinderung.

In der Ukraine ist Handicap International aktiv, um die Bevölkerung über die Gefahren von Streubomben, Minen und Blindgängern aufzuklären. Aufklärungsteams von HI sind besonders in Schulen tätig, wo sie Kindern sichere Verhaltensweisen beibringen, beispielsweise durch Broschüren, Poster und Faltblätter, die das Aussehen von Blindgängern verdeutlichen. Durch diese Maßnahmen trägt HI dazu bei, die Sicherheit der Menschen in den betroffenen Gebieten zu erhöhen und das Bewusstsein für die Gefahren von Streubomben und Blindgängern zu schärfen. 

Neben der lebenswichtigen Aufklärung über die Gefahren, verteilen unsere Teams in der Ukraine Gehhilfen, Rollstühle und Medikamente. Wir versorgen die Menschen mit Reha nach Verletzungen und Notoperationen. 

Die vielen Verletzten und Traumatisierten erhaltenaußerdem psychologische Hilfe, um auch die seelische Gesundheit zu stärken. Und wir setzen alles daran, dass gerade Menschen mit Behinderung, Kinder und ältere Menschen nicht übersehen werden.

Portraits aus unseren Ausstellungen

In Zusammenarbeit mit dem Journalisten und Fotografen Till Mayer haben wir zwei Ausstellungen konzipiert, die deutschlandweit verliehen werden. "Barriere:Zonen" und "erschüttert" erzählen bewegende Geschichten von Menschen aus Krisengebieten, von denen viele eine Behinderung haben. Lesen Sie hier Ihre Geschichten.

Drei Kinder in einem einfachen Zimmer schauen gespannt nach links.
Familie Komarova flieht

Familie Komorova musste aus dem Osten der Ukraine fliehen. Im Westen der Ukraine fanden sie ein Dach über dem Kopf. Aber eine Heimat suchen sie noch. 

Valentina hält in einem Keller eine Kerze hoch.
Valentina bleibt

Valentina kennt nur eine Heimat. Und die wird sie nicht mehr verlassen. Auch wenn die Bomben sie heute wieder an den zweiten Weltkrieg erinnern - den sie für immer hinter sich geglaubt hatte. 

Spenden Sie jetzt für unseren Einsatz gegen Streubomben! Verhindern Sie, dass noch mehr Kinder wie Mohamed schwer verletzt oder gar getötet werden. Retten Sie Leben und verhindern Sie bleibende Behinderungen.

Jetzt spenden!